Selbstmedikation - Die Eigenverantwortung fachlich unterstützen

Die Selbstmedikation mit rezeptfreien Arzneimitteln hat sich als wichtige Säule für eine erweiterte, nebenwirkungsarme und gleichzeitig kostenbewusste medizinische Versorgung etabliert und besitzt deshalb eine relevante gesundheitsökonomische Bedeutung. Sie zielt wie jede Behandlung zuvorderst auf den schadensfreien Nutzen für den Patienten ab und ist in Deutschland in ein umfangreiches Qualitäts- und Sicherheitssystem eingebettet. Um eine erfolgreiche medikamentöse Eigentherapie der Patienten zu gewährleisten, bestehen hohe Anforderungen an die beteiligten Partner im Gesundheitswesen, vor allem Ärzte, Apotheken, Krankenkassen, Arzneimittelhersteller, Fachverbände, wissenschaftliche Gremien und Gesetzgeber. Letztendlich gilt es, die Möglichkeiten der Selbstmedikation wahrzunehmen, aber auch deren Grenzen auszuloten.

Rezeptfreie Medikamente (OTC = Over-the-Counter; gegenüber Rezeptpflichtige Arzneimittel) werden in Deutschland wie jedes Arzneimittel durch die zuständige Behörde, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), auf der Basis umfangreicher Studien seitens der Hersteller auf Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität geprüft und zugelassen. Bei bestimmungsgemäßer und richtiger Anwendung sind OTC-Arzneimittel sicher und gut verträglich. Die Domäne nicht verschreibungspflichtiger Medikamente liegt in der Behandlung leichter Erkrankungen und Beschwerden. Diese umfassen hauptsächlich Erkältungskrankheiten und ihre Symptome wie Husten, Schnupfen, Halsschmerzen oder Fieber, Beschwerden des oberen und unteren Verdauungstrakts wie Sodbrennen, Übelkeit, Bauchschmerzen, Diarrhö oder Obstipation, Schlafstörungen sowie Kopfschmerzen und Beschwer-den am Bewegungsapparat. Etwa 45 Prozent der Arznei-mittel, die in Apotheken an Patienten ausgehändigt wer-den, sind nicht verschreibungspflichtig (Informationen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) (www.abda.de, Themen).

Im Jahr 2018 wurden insgesamt 624 Millionen Packungen OTC-Präparate an Apothekenkunden abgegeben (ABDA-Broschüre „DIE APOTHEKE: Zahlen, Daten Fakten 2019“; www.abda.de, Publikationen). Davon fielen indikationsbezogen 200 Millionen Packungen (32,1 Prozent) auf Erkrankungen des respiratorischen Systems, 112 Millionen (18,0 Prozent) auf Erkrankungen des alimentären Systems und des Stoffwechsels, vor allem Magen-Darm-Erkrankungen, ebenfalls 112 Millionen (18,0 Prozent) auf Erkrankungen des Nervensystems, 66 Millionen (10,5 Prozent) auf dermatologische Krankheiten, 28 Millionen auf Erkrankungen des Muskel- und Skelett-Systems und 106 Millionen (16,9 Prozent) auf die übrigen Erkrankungen. Von pflanzlichen Arzneimitteln wurden 101 Millionen Packungen ausgehändigt, von homöopathischen und von anthroposophischen Arzneimitteln 35 bzw. neun Millionen.

 

Verordnung auf Grünem Rezept bietet Vorteile

Der Großteil der pflanzlichen Arzneimittel ist apothekenpflichtig, aber nicht verschreibungspflichtig (Gesellschaft für Phytotherapie; https//phytotherapie.de, Erstattungsfähigkeit). Mit dem „GKV-Modernisierungsgesetz“ im Jahr 2004 wurden alle nicht verordnungspflichtigen Arzneimittel von der Erstattung durch die gesetzlichen Krankenversicherungen ausgeschlossen. Als Ausnahmen gelten nicht rezeptpflichtige Arzneimittel für Kinder bis zum vollendeten zwölften Lebensjahr, für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr, aber auch OTC-Arzneimittel, die als Standardtherapie für bestimmte Erkrankungen anerkannt sind (Anlage I der Arzneimittel-Richtlinie, OTC-Ausnahmeliste; www.g-ba.de, Anlage I, OTC-Übersicht). Dazu gehören aus dem Bereich der pflanzlichen Arzneimittel Mistel-Präparate, bestimmte Johanniskrautextrakte, Flohsamen und Flohsamenschalen sowie bestimmte Präparate mit Ginkgo biloba-Blätter-Extrakt.

Ärzte können ihren Patienten notwendige, rezeptfreie Arzneimittel empfehlen und dies mit einem Grünen Rezept dokumentieren. Das Grüne Rezept wurde 2004 über eine Initiative des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH) und des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) eingeführt. In der Regel muss der Patient ein Medikament, das er über ein Grünes Rezept erhält, selbst bezahlen. Allerdings können Krankenkassen seit 2012 die Erstattung von OTC-Präparaten als Satzungsleistung anbieten. Etwa zwei Drittel der Kassen machen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Im Jahr 2018 wurden insgesamt 155,1 Millionen Packungen nicht verschreibungspflichtiger Medikamente ärztlich verordnet, davon 43,5 Prozent auf GKV-Rezepten, 32,0 Prozent auf Grünen Rezepten und 34,5 Prozent auf Privatrezepten.

Mit der Verordnung auf dem grünen Rezept hat der Arzt die Möglichkeit, für den Patienten qualitativ hochwertige pflanzliche Arzneimittel zu wählen, die sich nicht nur in der Praxis bewährt haben, sondern auch hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Unbedenklichkeit wissenschaftlich geprüft sind.

 

Phytopharmaka spielen in der Eigentherapie eine tragende Rolle

Diese Aspekte sind vor allem auch für die Kundenberatung in der Apotheke von Relevanz. Immer mehr Patienten, die wegen ihrer Beschwerden nicht immer gleich einen Arzt konsultieren wollen, fragen in der Apotheke gezielt nach pflanzlichen Optionen zur Behandlung ihrer gesundheitlichen Probleme. Bei der persönlichen Beratung zur Selbstmedikation kann der Apotheker nicht nur auf diese speziellen Wünsche der Kunden eingehen, sondern er hat auch die Möglichkeit, rationale, gut dokumentierte Phytopharmaka zu empfehlen, die für nahezu alle in der Eigentherapie bevorzugten Beschwerden zur Verfügung stehen. Sowohl die Verordnung auf Grünem Rezept als auch eine fundierte Kundenberatung in der Apotheke können so für den Patienten die Chance auf eine erfolgreiche und sichere Behandlung seiner Beschwerden erhöhen.

 

Die Grenzen der Selbstmedikation ausloten

Neben den Vorteilen der Selbstmedikation für das Gesundheitsmanagement verlangt sie bei der individuellen Patientenversorgung besondere Achtsamkeit und sollte daher möglichst fachlich kontrolliert erfolgen. Hier kommt der Beratung in der Apotheke eine Schlüsselrolle zu, um den Patienten über die adäquate Anwendung von Therapeutika zu informieren bzw. ihm von ungeeigneten Medikamenten abzuraten. Eine Behandlung mit OTC-Präparaten kann wie jedes andere Medikament bei unsachgemäßer Anwendung auch zu Problemen führen, etwa zu unerwünschten Nebeneffekten oder Arzneimittelinteraktionen (Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI); www.bpi.de, Pflanzen als Heilmittel). Bevor der Apotheker ein Präparat zur Selbstmedikation abgibt, ist er angehalten, grundlegende Daten abzufragen.

Wichtig sind dabei:

  • Beschwerdebild (ggf. Diagnosesicherung durch den Arzt),
  • patientenspezifische Faktoren wie Alter und Geschlecht,
  • Vorliegen möglicher Allergien und Überempfindlichkeiten,
  • besondere Lebensumstände wie Schwangerschaft und Stillzeit oder
  • bestehende Komorbiditäten.

Ferner sollten pharmakologische Kriterien des OTC-Präparates wie Dosierung, Darreichungsform, Kontraindikationen, Begleitmedikationen, mögliche Interaktionen und Nebenwirkungen angesprochen werden. Bedenkliche Ergebnisse der Befragung erfordern dann entweder eine intensivere Beratung des Patienten oder eine Rücksprache mit dem behandelnden Arzt.

 

Dr. Dagmar van Thiel

PK 2/2020

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