Health Claims - Lücken im Verbraucherschutz

Der deutsche Markt wird derzeit mit einer unüberschaubaren Flut an teils zweifelhaften Gesundheitsprodukten überschwemmt, die mit gesundheitsbezogenen Angaben oft reißerisch beworben werden. Im Gegensatz zu Arzneimitteln unterliegen sie nicht dem strengen Reglement der Heilmittelwerbung. Um in den EU-Mitgliedsstaaten eine einheitliche Grundlage für den Verbraucherschutz zu schaffen, hat die EU daher mit der Health-Claims-Verordnung Regelungen zu solchen Angaben festgelegt, deren Umsetzung in der Realität allerdings zu wünschen übrig lässt. Vor allem bei Gesundheitsprodukten, die pflanzliche Stoffe enthalten, bestehen erhebliche Mängel im Verbraucherschutz.

Gesundheitsprodukte werden dem Verbraucher in verwirrendem Ausmaß angeboten und über Apotheken, aber auch über Kaufhäuser, Discounter und über das Internet vertrieben. Als regelrechtes „Massenkonsumgut“ finden sich vor allem Nahrungsergänzungsmittel (NEM), die oft Vitamine, Spurenelemente, Aminosäuren oder auch pflanzliche Stoffe enthalten, von denen sich der Verbraucher einen gesundheitlichen Nutzen verspricht. NEM sind rechtlich als Lebensmittel eingestuft. Sie sind nicht zur Behandlung oder Prävention von Krankheiten bestimmt und daher von Arzneimitteln scharf abzugrenzen. Diese sind nach dem deutschen Arzneimittelgesetz definiert als „Stoffe zur Heilung, Linderung oder Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden“. Sie unterliegen einem streng regulierten, zeit- und kostenaufwendigen amtlichen Zulassungsverfahren. Ihre Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität müssen wissenschaftlich dokumentiert sein, dies gilt auch für Phytopharmaka. Zudem bestehen für alle Arzneimittel strenge Vorschriften der Heilmittelwerbung, die gesundheits- und krankheitsbezogene Aussagen nur zulassen, wenn sie wissenschaftlich bewiesen sind.

 

Verbraucherschutz wird konterkariert

Diese hohen Hürden der amtlichen Zulassungsverfahren dienen der Sicherheit und dem Schutz des Anwenders. Paradoxerweise bewirken sie aber in gewisser Weise das Gegenteil, da sie Herstellern und Vertreibern von Nahrungsergänzungsmitteln Möglichkeiten bieten, von denen diese in erheblichem Maße profitieren. NEM müssen keine strengen Zulassungsverfahren und Qualitätssicherungs-Prozesse durchlaufen, da für sie lediglich die allgemeinen Vorschriften des Verbraucherschutzes bzw. des Lebensmittelrechts gelten. Herstellung und Inverkehrbringen sind daher zeitnah möglich und der Kostenaufwand deutlich geringer. Sie dürfen aber, wie alle Lebensmittel, mit nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben, den „Health Claims“, beworben werden – beispielsweise „fettarm“, „lactosefrei“ oder „reich an Calcium zur Unterstützung der Knochengesundheit“. Dies hat einen undurchsichtigen und bis zum Jahr 2006 völlig unkontrollierten Markt an Produkten mit teils dubiosen Inhaltsstoffen ermöglicht, die Gesundheitsversprechen reißerisch und werbewirksam anpreisen.

Um den Verbraucher vor Irreführung und Täuschung zu schützen, hat die Europäische Union mit der EU-Health-Claims-Verordnung 1924/2006 auf diese Missstände reagiert und einheitliche Vorgaben festgelegt. So dürfen nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben bei Nahrungsergänzungsmitteln, ebenso wie bei Lebensmitteln, nicht falsch, irreführend oder für den Verbraucher unverständlich sein. Bevor sie erlaubt werden, müssen Health Claims ein amtliches Bewertungsverfahren durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) durchlaufen. Grundsätzlich verboten ist Werbung mit Krankheitsbezug – ein Zuwiderhandeln würde sogar eine Straftat darstellen.

Die Vorgaben der EU-Verordnung, die derzeit etwa 250 Claims erlaubt, reichen jedoch nicht aus, und bieten teils Schlupflöcher, um Regelungen zu umgehen oder weiter mit gänzlich unerlaubten Health Claims zu werben – nach dem Motto „wo kein Kläger, da kein Richter“. In einer Stichprobe der Verbraucherzentralen wiesen immerhin 43 Prozent der überprüften Produkte nicht zugelassene Claims auf (Verbraucherzentrale.de).

 

Gravierende Mängel bei Botanicals

Eine besondere Problematik ergibt sich bei den sogenannten Botanicals. Darunter fallen sowohl pflanzliche Arzneimittel als auch die Vielzahl an Gesundheitsprodukten, die pflanzliche Stoffe mit potentiellen pharmakologischen Effekten enthalten, und die meist in Form von NEM den Markt überschwemmen. Botanicals sind jedoch nur als Arzneimittel qualitätsgesichert. Als Vielstoffgemische ist der Gehalt der Wirkstoffe von Arzneipflanzen von vielerlei Faktoren wie Wachstumsbedingungen, Herkunft des Pflanzenmaterials etc. abhängig. Zugelassene Phytopharmaka sind standardisiert und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität wissenschaftlich geprüft, während dies für NEM nicht zutrifft.

Eine gewisse „Nähe“ pflanzlicher Gesundheitsprodukte zu Phytopharmaka ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, die vor allem für den Verbraucher täuschend wirkt. Diese NEM sind „Borderline-Produkte“, die im Überschneidungsbereich zu Arzneimitteln liegen und bei denen sich regelmäßig Unsicherheiten in der Abgrenzung ergeben.

Gerade hier bietet sich Raum, mit nicht geprüften NEM, denen zweifelhafte Effekte zugeschrieben werden, hohe Umsätze zu generieren.

Dem Verbraucher ist in aller Regel der Unterschied zwischen NEM und Arzneimittel nicht bekannt, vor allem dann nicht, wenn er auf eine Beratung durch Arzt oder Apotheker verzichtet und lieber ein kostengünstiges Prä-parat mit vielleicht ähnlichen Inhaltsstoffen beim Discounter oder über das Internet erwirbt. Den Preis bringt er dabei nicht mit den im Vergleich zu Arzneimitteln geringen Entstehungskosten eines NEM in Verbindung. Da letzteres mit einem Nutzen für die Gesundheit an-gepriesen wird – was einem zugelassenen pflanzlichen Arzneimittel verboten ist – glaubt er vielleicht sogar, ein besonders vorteilhaftes Mittel gefunden zu haben. Zur Täuschung trägt auch die Aufmachung von NEM bei, da Verpackungen und Zubereitungsformen in einer Weise präsentiert werden, die der Verbraucher als arzneilich einschätzt. So wird dieser letztlich dazu verleitet, sich mit zweifelhaften Produkten selbst zu behandeln, für die jegliche wissenschaftlichen Belege zur Wirksamkeit, Sicherheit und arzneilichen Qualität fehlen. Maßgeblich wäre es, grundsätzlich zu prüfen, ob den Inhaltsstoffen eines NEM eine pharmakologische Wirkung zuzuschreiben ist bzw. die Produktdarstellung einer arzneimittelrechtlichen Zulassung bedarf. Vermutlich wären dann etliche dieser Produkte als Arzneimittel einzustufen und ohne Zulassung gar nicht verkehrsfähig, das heißt sie würden illegal vermarktet.

Fallzahlen über durch Selbstmedikation mit NEM verschleppte Krankheiten und Gesundheitsschäden sowie da-raus entstehende Kosten für das Gesundheitswesen sollten dringend erhoben werden, um diesem Zustand auch von politischer Seite entgegentreten zu können.

 

Health-Claims-Verordnung läuft ins Leere

Absurderweise läuft ausgerechnet bei Botanicals die Intention der EU, durch die Health-Claims-Verordnung eine Harmonisierung des Verbraucherschutzes zu erzielen, ins Leere. Denn bis heute wird dem Ansinnen des europäischen Gesetzgebers in diesem äußerst lukrativen Bereich nicht entsprochen. Die EU-Kommission hat beispielsweise Anträge auf „Claims“ zurückgestellt, sieht sich aber weder in der Lage, eine Beurteilung selbst abzugeben noch die dafür zuständige EFSA (Europäische Behörde für Arzneimittelsicherheit) zu beauftragen, die erforderlichen Bewertungen durchzuführen. Und das, obwohl alle Lebensmittel sowie NEM nicht pflanzlichen Ursprungs eine wissenschaftliche Bewertung durchlaufen müssen. Damit unterliegen gesundheitsbezogene Angaben von Botanicals nicht der einschränkenden Health-Claims-Verordnung, sondern lediglich den einzelstaatlichen Vorschriften, die aber selbst innerhalb der EU variieren. Somit läuft gerade in diesem besonders sensiblen Bereich der vom europäischen Gesetzgeber im Rahmen der Health-Claims-Verordnung vorgegebene Verbraucherschutz völlig leer und karikiert geradezu seine wichtigste Aufgabe, nämlich den Schutz seiner höchsten Rechtsgüter, z. B. die Gesundheit der Bevölkerung – ganz im Interesse der (dahinterstehenden) industriellen Großkonzerne.

Der Verbraucher scheint demzufolge nicht nur allein gelassen, sondern er ist auch Risiken ausgesetzt. Umso mehr sollten sich Dienstleister im Gesundheitswesen bemühen, ihre beratende Funktion rund um zugelassene, standardisierte und geprüfte Phytopharmaka mit hoher Qualität verstärkt wahrzunehmen. Dies gilt vor allem für Ärzte und Apotheker.

Auch rechtliche Optionen, um den derzeitigen Missständen entgegen zu treten, sind vorhanden, z. B.

  • strenge Kontrolle der Produktkategorie (noch NEM oder schon Arzneimittel)
  • Involvierung der Aufsichtsbehörden, um eine etwaige arzneimittelrechtliche Zulassungspflicht zu prüfen.

Zudem könnte zivilrechtlich mittels Unterlassungsklagen einer weiteren Vermarktung zweifelhafter Medizinprodukte entgegen gewirkt werden.

Wichtig wäre es, den Europäischen Gerichtshof (EuGH) durch eine klagebefugte Partei einzubeziehen, um eine weitere, durch Untätigkeit der Europäischen Kommission verschuldete Aussetzung der wissenschaftlichen Claims-Bewertung bei Botanicals höchstrichterlich unterbinden zu lassen. Vom EuGH wurde diese Aussetzung bereits als rechtswidrig erkannt.

 

Dr. Rupert Weinzierl

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz, LIEB.Rechtsanwälte Erlangen/Nürnberg

 

PK 2/2020

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