Auch Langzeiteinnahme von Baldrianextrakt zeigt keinen Einfluss auf Reaktionszeit und Konzentrationsfähigkeit

Baldrian: Auch Langzeiteinnahme zeigt keinen Einfluss auf Reaktionszeit und Konzentrationsfähigkeit
Mit dem Ziel festzustellen, inwieweit Baldrianwurzelextrakt im Vergleich zu den Benzodiazepinen mit Behandlungsrisiken verbunden ist, prüfte die Arbeitsgruppe um J. Kuhlmann und W. Berger von der Gesellschaft für Interdisziplinäre medizinische Forschung mbH (IMF) in Köln, wie sich die Einnahme der beiden Substanzen auf die Kriterien zur Beurteilung der Fahrtüchtigkeit wie Wachheitszustand, Reaktionszeit und Konzentrationsfähigkeit, sowie auf die Schlafqualität auswirkt.


Patienten und Methodik 


An der doppelblinden Studie nahmen 102 freiwillige gesunde Probanden teil. Ausschlusskriterien waren organisch bedingte Schlafstörungen, die Einnahme von den Schlaf beeinflussen Medikamenten, sowie Nikotin-, Alkohol- oder Koffeinkonsum.


Die Untersuchung gliederte sich in zwei Abschnitte:


Zunächst wurde die Wirkung einer einmaligen abendlichen Einnahme von Baldrianextrakt im Vergleich zu Flunitrazepam und Placebo untersucht.
Entsprechend dem Randomisierungsplan erhielten dabei am Abend vor dem Zubettgehen 33 Probanden 600 mg des Baldrianwurzelextrakts (LI 156), 32 Probanden 1 mg Flunitrazepam und 32 Probanden ein Placebo.
In der zweiten Phase erfolgte nach einer siebentägigen Auswaschphase die Prüfung der Effekt des Phytopharmakons über einen Zeitraum von zwei Wochen im Vergleich zu Placebo.

Nach Randomisierung bekamen 47 Probanden 14 Tage lang jeden Abend 600 mg LI 156, 44 Studienteilnehmer erhielten Placebo.


Die Auswirkungen der Medikation auf Vigilanz, Konzentrationsvermögen und Reaktionszeit wurden in beiden Prüfungsabschnitten jeweils am Morgen nach der letzten Medikamenteneinnahme mit Hilfe von psychometrischen test2s bestimmt.


Primäres Prüfkriterium war die mittlere Reaktionszeit, die mit Hilfe des Vienna Determination test2s (VDT) ermittelt wurde.


Die Vigilanz wurde mit dem Cognitron-Vienna-test2system überprüft und die Koordinationsfähigkeit mit Hilfe des Trackingtest2s ermittelt.


Die Schlafqualität wurde anhand der visuellen Analogskalen VIS-A und VIS-M dokumentiert.


Zu Studienabschluss erfolgte außerdem eine globale Beurteilung der Verträglichkeit durch Arzt und Probanden.


Ergebnisse


Nach der einmaligen Einnahme der Prüfmedikationen fand sich in allen drei Behandlungsgruppen eine Verbesserung der mittleren Reaktionszeit im VDT, die durch einen Lerneffekt zu erklären war. Der Leistungszuwachs war allerdings unterschiedlich stark ausgeprägt: Bei den Teilnehmern der Baldrian- und Placebogruppe fiel er im Mittel gleich groß aus (p = 0,1184), in der Flunitrazepam-Gruppe war er signifikant schlechter. 25 Prozent dieser Probanden zeigten eine Verzögerung der mittleren Reaktionszeit, die auf einen hang-over-Effekt hindeutete. Der Gruppenunterschied zum Baldrianwurzelextrakt war mit p=0,0001 hochsignifikant, gegenüber Placebo betrug er p=0,0115. Auch die sekundären Zielvariablen zeigten im VDT ein vergleichbares Ergebnis.


Für die Vigilanz und Koordinationsfähigkeit ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei Behandlungsgruppen. Lediglich im Hinblick auf die Reaktionsgeschwindigkeit im Trackingtest2 zeigte sich ein Vorteil zugunsten des Phytopharmakons, der mit p=0,001 gegenüber Flunitrazepam signifikant ausfiel.


Mit Ausnahme von Befindlichkeitsstörungen wie Schwindel, Müdigkeit und Antriebslosigkeit (ein Fall in der Baldrian- und vier Fälle in der Flunitrazepam-Gruppe) traten nach der einmaligen Medikamenteneinnahme keine schwerwiegende Nebenwirkungen auf.


Nach der zweiwöchigen Anwendung unterschieden sich die Ergebnisse der psychometrischen test2s zwischen Baldrian- und Placebogruppe nur geringfügig. Die im Vergleich zum Ausgangswert lernbedingte Steigerung der mittleren Reaktionszeit betrug in der Verum-Gruppe durchschnittlich 68,66 ms und unter Placebogruppe 64,32 ms.


Die Sekundärparameter im VDT ebenso wie die Variablen der Vigilanz- und Koordinationstest2s korrespondierten mit diesem Ergebnis.


Die Verbesserung der Schlafqualität wies zum Ende der Untersuchung einen Trend zugunsten der Baldrianmedikation auf:+ 7,4 Prozent in der Baldriangruppe verglichen mit - 4,5 Prozent in der Placebogruppe.


Während des Therapiezeitraumes wurden nur geringgradige unerwünschte Ereignisse beobachtet, ein Gruppenunterschied war nicht vorhanden.


Fazit: Weder eine einmalige noch eine wiederholte Einnahme von 600 mg Baldrianwurzel-Extrakt LI 156 beeinträchtigt Reaktionsgeschwindigkeit, Wachheitsgrad oder Konzentrationsfähigkeit am Morgen nach der Medikation. Im Unterschied zu dem Benzodiazepin-Derivat Flunitrazepam sind keine hang-over-Effekte zu erwarten. Baldrian beeinträchtigt auch bei längerfristigen Anwendung die Fahrtüchtigkeit nicht.


(Quelle: J. Kuhlmann, W. Berger, H. Podzuweit, U. Schmidt: The Influence of Valerian Treatment on Reaction-Time, Alertness and Concentration in volunteers. Pharmacopsychiatry 32 (1999): 235-241