Baldrian-Melisse-Extrakt zeigt keine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit oder Wirkungsverstärkung von Alkohol

Die Einnahme von Benzodiazepinen birgt erhebliche Nachteile in sich. Vor allem die hang-over-Effekt, verbunden mit Beeinträchtigungen der Vigilanz schränken deren Anwendungsbereich erheblich ein. Marianne Albrecht und Mitarbeiter von der Forschungsgemeinschaft für Verkehrssicherheit in Köln prüften in einer kontrollierten Doppelblind-Studie, inwieweit solche Effekte auch bei einem pflanzlichen Sedativum aus Baldrian- und Melisseextrakt auftreten.

Patienten und Methoden

Insgesamt 54 gesunde Probanden im Alter zwischen 25 und 55 Jahren nahmen an der placebokontrollierten Untersuchung teil. Sie wurden randomisiert zwei Gruppen zugeteilt und erhielten für die Dauer von drei Wochen jeden Abend entweder zwei Dragees des Prüfpräparates, entsprechend einer Tagesdosis vom 320 mg Baldrian- und 160 mg Melisse-Trockenextrakt, oder zwei Placebos.

Zur Ermittlung der Verkehrssicherheit bzw. der psychomotorischen und mentalen Leistungen wurden folgende validierte psychometrische test2verfahren herangezogen:

  • Hauptzielparameter war die Veränderung der mittleren Reaktionszeit, die mit Hilfe des Wiener Determinationsgerät nach Mierke (WDG) erfasst wurde.
  • Die Konzentrationsfähigkeit wurde anhand des Aufmerksamkeits-Belastungstest2 d2 nach Brickenkamp überprüft.
  • Die psychomotorische Koordinationsleistung und die Reaktionsgeschwindigkeit wurden mit dem Tracking-Reaktionstest2 nach Brendemühl ermittelt.
  • Ferner erfolgte die subjektive Bewertung der Befindlichkeit anhand der Selbstbeurteilungsskala nach von Zerssen.


Die Untersuchungen erfolgten zu Studienbeginn sowie nach zwei und drei Wochen. Beim dritten Kontrolltermin erhielten alle test2personen unter streng standardisierten Rahmenbedingungen zusätzlich eine definierte Menge von 70 Vol. % Äthylalkohol bis zu einer Zielkonzentration von 0,5 Promille im Blut. Unmittelbar danach wurden die test2s durchgeführt.

Ergebnisse:

  • Insgesamt 50 Probanden gingen in die Auswertung ein.
  • Die Gegenüberstellung der WDG-Ergebnisse zeigte zu Studienbeginn und bei allen Kontrollterminen in beiden Gruppen eine nahezu identische Reaktionszeit. Unter Berücksichtigung eines Übungseffektes steigerte sich die mittlere Reaktionszeit bis zum 14. Tag unter der Verummedikation von 906,2 ms auf 818,6 ms und unter Placebo von 930,1 ms auf 820,8 ms. Auch unter Alkoholeinfluss ist keine Differenz zwischen Verum und Placebo aufgetreten.
  • Vergleichbare Ergebnisse lieferte der d2-test2. Auch hier ergab sich mit oder ohne Alkoholeinfluss kein Unterschied zwischen den beiden Medikationsgruppen. Die Einnahme der Baldrian-Melisse-Kombination hatte die Konzentrationsfähigkeit der Probanden nicht beeinträchtigt.
  • Die im Tracking-test2 erfassten Parameter "Anzahl der Kollisionen mit der Fahrbahnbegrenzung" und "Reaktionsgeschwindigkeit" haben sich – als Resultat des Lerneffekts – bis zum 14. Tag deutlich verbessert. Der erzielte Leistungszuwachs war aber in beiden Gruppen absolut identisch. Die Reaktionsgeschwindigkeit nahm in der Verumgruppe um durchschnittlich 57,5 ms und in der Placebogruppe um 83,4 ms zu. Unter Alkoholeinfluss verringerte sich dieser Vorteil auf 29,6 ms bei den mit Baldrian behandelten Probanden und auf 59,6 ms in der Placebogruppe.
  • Während die Befindlichkeit in der Placebogruppe im Laufe des gesamten Prüfzeitraumes unverändert blieb, verbesserte sich das Befinden der mit der Pflanzenkombination behandelten Probanden um durchschnittlich 6 Punkte.


Die Verträglichkeit der Medikation wurde insgesamt sehr positiv bewertet. Unerwünschte Nebenwirkungen traten nicht auf.

Fazit: Die Untersuchung bestätigt die Beobachtung, nach der die Baldrian-Melisse-Kombination im Gegensatz zu Benzodiazepinen keine messbare Beeinträchtigung der psychomotorischen oder mentalen Leistungen verursacht. Auch bei Einnahme des Phytopharmakons unter Alkoholeinfluss sind solche Effekte nicht zu erwarten.

(Quelle: M. Albrecht, W. Berger, P. Laux, U. Schmidt, C. Martin: Psychopharmaka und Verkehrssicherheit. ZFA 16, 71. Jhg, 20. 8. 1995: 1215-1228)